Die Natur ist unbezahlbar. Sagt man. Und genau das ist das Problem.
Wir lieben die Natur. Behaupten wir. Auf Instagram, in Werbespots, in Sonntagsreden. Und doch roden wir Wälder, versiegeln Böden und verschmutzen Gewässer – systematisch, effizient, global. Warum? Weil wir in einer Welt leben, in der Wert in Zahlen gemessen wird. Und die Natur taucht in diesen Zahlen schlicht noch nicht auf. Und alle Kosten und Zahlen, die man als Unternehmen und Privatpersonen nicht selbst direkt bezahlen muss, werden gerne «externalisiert».
Das Paradoxon der «wertlosen» Natur
Der Wald vor der Stadt kühlt im Sommer die Quartiere, filtert Feinstaub, speichert CO₂ und ist Erholungsraum für Menschen. Und doch erscheint sein Wert in keiner Bilanz. Wird er aber gerodet, lässt sich der Gewinn genau berechnen.
Der berühmte Fall aus New York zeigt, wie blind dieses System lange war: Um die Trinkwasserversorgung zu sichern, hätte die Stadt in den 1990ern Milliarden in neue Aufbereitungsanlagen stecken müssen. Stattdessen kaufte man Land in den Catskill Mountains und bezahlte Landwirte dafür, weniger zu düngen. Ergebnis: sauberes Wasser – zum Bruchteil der erwarteten Kosten. Die Lehre: Manchmal ist Nichtstun – im Sinne von: Natur schützen – die beste Investition.
Natur bewerten – warum überhaupt?
Natürlich provoziert die Idee, der Natur ein Preisschild umzuhängen. Und ja, es gibt berechtigte Kritik. Doch wer in einem marktwirtschaftlich organisierten System handelt, muss auch dessen Spielregeln nutzen. Wenn Entscheidungen auf Basis von Kosten-Nutzen-Analysen getroffen werden – dann darf die Natur darin nicht fehlen. Sonst bleibt sie die kostenlose Ressource, die niemand schützt, weil sie niemandem «gehört» und keine direkten Kosten verursacht.
Technologie als Hebel: KI trifft auf Kompost
Die Tools, die dabei zum Einsatz kommen, sind faszinierend. Software wie «Landler» sammelt Daten über den Zustand von Böden, Biodiversität, Wasserspeicherfähigkeit – via Satellit, Sensorik und Machine Learning. Damit wird aus dem «grünen Gefühl» eine messbare, skalierbare Variable. Für viele Investoren ist das der Gamechanger: Was sich nicht quantifizieren lässt, lässt sich nicht investieren. Und auch nicht in Aufwänden und Erträgen berücksichtigen.
ESG-Finance: Zwischen Anspruch und Ablass
Natürlich bleibt ein schmaler Grat zwischen nachhaltiger Investition und Greenwashing. Die Diskussion um CO₂-Kompensation hat gezeigt, wie schnell gute Ideen zur Marketingmasche verkommen können. Ein Baum, der gepflanzt wird, ist nicht automatisch ein geretteter Wald. Und Naturkapital-Zertifikate sind keine Blankoschecks für Umweltverschmutzung anderswo.
Natur ist kein romantisches Ideal – sie ist unsere Lebensversicherung
Am Ende geht es um eine bittere Wahrheit: Der Markt ignoriert, was keinen Preis hat. Und solange die Natur «nichts kostet», wird sie weiter ausgebeutet. Die Lösung ist nicht, sie vollständig zu monetarisieren. Aber sie sichtbar zu machen – in Portfolios, Bilanzen, Strategien – ist der erste Schritt zu ihrem Schutz.
Fazit: Lieber bepreist als begraben
Die Vorstellung, dass ein Fluss, ein Moor oder ein Wald einen «Wert» hat, mag zunächst befremden. Doch der Preis ist nicht das Problem – sondern die Abwesenheit davon. Denn was keinen Preis hat, wird im Zweifelsfall verdrängt. Von Beton, von Profit, von Kurzsichtigkeit.
Deshalb: Lasst uns der Natur einen Platz im System geben. Nicht, weil sie ihn braucht – sondern weil wir ihn brauchen.
Weitere Infos in zwei PDFs von brand eins: «Wie viel ist Ihnen diese Mohnblume wert?» und «Was nichts kostet, ist nichts wert».
Und auch in unserem Blog-Beitrag «Wirtschaft oder Klimaschutz – oder: Wirtschaft nur mit Klimaschutz».
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