Ein Dilemma? Oder doch nur ein Denkfehler? In politischen Talkshows und Wahlkämpfen taucht immer wieder dieselbe Frage auf: Müssen wir uns entscheiden zwischen wirtschaftlichem Wohlstand und konsequentem Klimaschutz? Bedeutet eine klimafreundliche Politik automatisch Jobverluste, Deindustrialisierung und Rezession?
Diese vermeintliche Zwickmühle verkennt eine entscheidende Entwicklung: Die Wirtschaft der Zukunft ist nicht trotz, sondern wegen Klimaschutz stark. Klimaschutz ist längst keine moralische Option mehr – er ist ein wirtschaftliches Muss.
Der Mythos vom Widerspruch
Noch immer wird gerne mit Schreckensbildern gearbeitet: Grüne Gesetze als Innovationsbremse, Wärmewende als Kostenlawine, Elektromobilität als Arbeitsplatzvernichter. Diese Narrative sind politisch motiviert – sie funktionieren gut auf Wahlplakaten, aber schlecht in der Realität.
Denn Deutschland, trotz aller wirtschaftspolitischen Unkenrufe, ist im internationalen Vergleich wieder auf Platz drei der grössten Wirtschaftsnationen aufgestiegen – noch vor Japan. Und das unter einer Regierung, die klar auf Klimaschutz und den Ausbau erneuerbarer Energien gesetzt hat.
Klimaschutz als wirtschaftliche Chance
Zahlen belegen: Klimaschutzmassnahmen wirken sich positiv auf das Bruttoinlandsprodukt (BIP) aus. In einem Szenario mit ambitioniertem Klimaschutz wächst die deutsche Wirtschaft laut Prognos-Studie bis 2030 um 2,6 % mehr als ohne. Das liegt nicht zuletzt an Investitionen in saubere Technologien, neue Infrastrukturen und zukunftsfähige Industrien.
Erneuerbare Energien, Energieeffizienz, nachhaltige Mobilität – sie schaffen Arbeitsplätze, Innovationskraft und neue Märkte. Auch international spielt das eine Rolle: Wer früh auf grüne Technologien setzt, wird zum Exporteur der Zukunft.
Die Kosten des Nichthandelns
Was kostet es, nichts zu tun? Die Antwort ist deutlich: Der Klimawandel verursacht immense wirtschaftliche Schäden. Allein in der Schweiz wurden die externen Kosten des Strassenverkehrs neu berechnet – sie liegen mit über 22 Milliarden Franken weit höher als gedacht, vor allem wegen der Klimafolgekosten.
In Deutschland zeigt eine Studie von INFRAS, dass der Verkehr jährlich 7 Milliarden Euro an Klimaschäden verursacht. Die Schäden durch Extremwetterereignisse wie Dürren, Hochwasser und Stürme sind bereits heute spürbar – für Menschen, Unternehmen und öffentliche Haushalte.
Klimaanpassung: Investition in Resilienz
Der Schutz vor den Folgen des Klimawandels ist genauso entscheidend wie der Klimaschutz selbst. Deutschland investierte 2022 laut Bundesanalyse rund 2,1 bis 3,4 Milliarden Euro in Massnahmen zur Klimaanpassung – das entspricht nicht einmal 1 % des Bundeshaushalts.
Dabei geht es um essenzielle Zukunftsinvestitionen: Hochwasserschutz, klimastabile Infrastruktur, Forschung, Gesundheitsvorsorge. Jeder Euro, der hier investiert wird, vermeidet vielfache Schäden in der Zukunft.
Investitionslage: Das Potenzial ist da – aber Unsicherheit bremst
Trotz des wirtschaftlichen Nutzens stagnieren globale Investitionen in Klimatechnologien. Von 79 Milliarden US-Dollar (2022–2023) fielen sie auf nur noch 56 Milliarden US-Dollar im Folgejahr. Die Gründe: unsichere politische Rahmenbedingungen, volatile Märkte, hohe Finanzierungskosten.
Gleichzeitig wachsen jedoch die Bereiche der Klimaanpassungstechnologien – von hitzeresistenten Baumaterialien bis hin zu Dürremanagement-Systemen. Das zeigt: Der Bedarf ist da, das Potenzial auch. Jetzt braucht es verlässliche Politik und langfristige Strategien.
Fazit: Wirtschaft nur mit Klimaschutz
Die Frage «Wirtschaft oder Klimaschutz?» stellt sich längst nicht mehr. Es geht nur noch um das Wie. Ohne Klimaschutz wird es teuer – ökonomisch, ökologisch und sozial. Mit Klimaschutz investieren wir in Wettbewerbsfähigkeit, Resilienz und Zukunftsfähigkeit.
Deutschland und Europa stehen an einem Wendepunkt: Sie können Vorreiter einer neuen Wirtschaftsära sein. Einer Ära, in der grüne Innovationen nicht mehr das «ob», sondern das «wie viel» bestimmen. Wirtschaft funktioniert langfristig nur mit Klimaschutz – und das ist keine Belastung, sondern eine Einladung, neu zu denken. Mit oder ohne Trump.
Exkurs: Wenn das Finanzsystem kippt – eine Warnung aus der Versicherungswelt
Manchmal kommen die klarsten Warnungen nicht von Aktivist:innen oder Umweltverbänden, sondern aus der Mitte des Wirtschaftssystems. Eine solche Mahnung veröffentlichte kürzlich Günther Thallinger, Vorstandsmitglied des Versicherungskonzerns Allianz, in einem Beitrag im Guardian, der gerade für Aufsehen sorgte: Der Klimawandel, so seine Analyse, ist dabei, den Kapitalismus selbst zu untergraben.
Der Hintergrund: Die globale Erwärmung führt bereits heute zu Schäden in Billionenhöhe. Allein zwischen 2014 und 2023 summierten sich wetterbedingte Schäden laut Aviva auf 2 Billionen US-Dollar. In vielen Regionen – etwa in Kalifornien – haben Versicherer bereits begonnen, den Schutz vor Waldbränden einzustellen. Der Grund ist einfach: Die Risiken werden unbezahlbar.
Thallinger warnt: «Wir nähern uns Temperaturgrenzen, bei denen Versicherungen nicht mehr funktionieren – und ohne Versicherung funktioniert auch kein Kreditmarkt, keine Immobilienfinanzierung, keine Großinvestition.» Das bedeutet im Klartext: Ein Klima-induzierter Finanzkollaps.
Er spricht von einem «climate-induced credit crunch» – ein Szenario, in dem ganze Wirtschaftssektoren (Infrastruktur, Landwirtschaft, Industrie) keine finanzielle Absicherung mehr finden. Städte auf Überschwemmungsgebieten, Landstriche mit extremer Hitze oder Dürre würden ihren ökonomischen Wert weitgehend verlieren.
Die Auswirkungen wären systemisch. Denn: Kapitalismus braucht Planbarkeit, Absicherung, Vertrauen. Das sehen wir gerade auch einmal mehr im ganzen Trump-Chaos ohne Sinn und Verstand. Wenn Klimafolgen diese Grundlagen zerstören, bricht das System selbst zusammen. Thallingers Fazit ist drastisch, aber klar: «Bei drei Grad Erwärmung ist kein Finanzsystem mehr funktionsfähig. Kapitalismus, wie wir ihn kennen, wird unhaltbar.»
Die gute Nachricht? Wir haben die Technologien, um die Katastrophe zu verhindern – aber wir brauchen Tempo und Konsequenz. Der Kapitalismus, sagt Thallinger, müsse sich selbst retten. Nachhaltigkeit und Klimaschutz müssten gleichwertig neben finanziellen Zielen stehen, nicht untergeordnet sein.
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