Graue Energie im Fokus: Neues Denken beim Bauen setzt sich durch

Ein Beitrag zur Veranstaltung «Treibhausgasbilanz über den Lebenszyklus von Gebäuden» (25. Juni 2025, RICS/HSLU).

Am 25. Juni 2025 versammelten sich online über 250 Fachleute aus Planung, Architektur, Immobilienwirtschaft und Politik zur Veranstaltung «Treibhausgasbilanz über den Lebenszyklus von Gebäuden», organisiert von RICS Schweiz und der Hochschule Luzern. Im Mittelpunkt stand ein Thema, das zunehmend an Relevanz gewinnt: die ganzheitliche Klimabilanz von Gebäuden – und damit ein Paradigmenwechsel im Bauwesen.

Von der Betriebsenergie zur grauen Energie: Eine neue Priorität

Lange Zeit lag der Fokus der energetischen Betrachtung auf dem Betrieb von Gebäuden – auf Heizsystemen, Dämmwerten, Stromverbrauch. Doch in den letzten Jahren hat sich der Blick geweitet. Moderne Neubauten sind heute im Betrieb hocheffizient. Gleichzeitig aber ist der Anteil der sogenannten grauen Emissionen, also jener Treibhausgase, die bei Herstellung, Bau, Transport und Entsorgung entstehen (Scope 3), stark gestiegen.

Aktuelle Analysen zeigen: Bei Neubauten stammen bis zu 80 bis 90 Prozent der Treibhausgasemissionen aus der Erstellung – nicht mehr aus dem Betrieb. Dies verlangt eine tiefgreifende Neubewertung unserer Planungs- und Bauentscheidungen.

SIA 390/1: Ein neuer Standard mit Signalwirkung

Mit der im Februar 2025 publizierten Norm SIA 390/1 («Klimapfad – Treibhausgasbilanz über den Lebenszyklus von Gebäuden») liegt nun ein ambitionierter, aber praktikabler Rahmen für die Bilanzierung über alle Lebenszyklusphasen vor. Er ergänzt bestehende Werkzeuge wie die SIA 2032 (graue Energie) und liefert Zielwerte, die sich am Schweizer Netto-Null-Ziel orientieren.

Besonders hervorzuheben ist: Der Standard erfasst auch die Potenziale der Wiederverwendung (ReUse), die Verlängerung von Lebenszyklen und den Einfluss der Materialwahl – Aspekte, die bislang im Schatten der Energieeffizienz standen.

Materialwahl: Der unterschätzte Hebel

Die Auswahl der Baustoffe hat massiven Einfluss auf die Klimabilanz eines Gebäudes. Materialien wie Holz, Lehm oder Strohkonstruktionen schneiden in Ökobilanzen deutlich besser ab als konventionelle Produkte. Dennoch dominiert weiterhin der Beton, ein Baustoff mit hohem Emissionsprofil – insbesondere durch seinen Zementanteil.

Neue zementarme Betonsorten und Recycling-Betone sind wichtige Entwicklungen, doch ihre Marktdurchdringung ist noch begrenzt. Der Beton der Zukunft wird anders aussehen müssen – das ist technisch möglich, doch es braucht klare Impulse von Politik und Bauherrschaft, um diesen Wandel voranzutreiben. Mehr dazu auch in unserem Beitrag «Zukunft bauen: Zwischen Strohballen und smarten Leichtbaustoffen».

Umbau statt Neubau: Nutzung verlängern, Emissionen vermeiden

Die effektivste Maßnahme zur Emissionsreduktion ist nicht der Bau mit besseren Materialien, sondern das Vermeiden neuer Bauten, wo immer möglich. Die Wiederverwendung bestehender Strukturen – sei es durch Umbau, Umnutzung oder gezielte Erweiterung – kann die Emissionen erheblich senken.

Selbst wenn nur der Rohbau erhalten bleibt, lassen sich 30–40 % der Erstellungsemissionen einsparen. Dennoch fehlt es vielfach an Anreizen, Planungsinstrumenten und standardisierten Bewertungsmethoden, um ReUse-Projekte systematisch zu fördern.

Fazit: Eine neue Baukultur entsteht – wenn wir sie wollen

Die Veranstaltung hat klar gezeigt: Der Wandel ist längst in Gang. Mit neuen Normen, fundierten Tools (z. B. von ecobau) und wachsender fachlicher Sensibilisierung stehen heute mehr Möglichkeiten zur Verfügung denn je, um die Treibhausgasemissionen im Bauwesen messbar und planbar zu reduzieren.

Doch es braucht mehr als nur Werkzeuge. Es braucht ein Umdenken – bei Planenden, bei Bauherrschaften und in der Politik. Wir müssen unsere Bauweise weiterentwickeln: von effizient zu ressourcenschonend, von linear zu zirkulär, von neu zu weiterverwendet. Die Frage ist nicht mehr, ob dieser Wandel kommt – sondern, wie entschlossen wir ihn gestalten wollen.

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