Verhält sich die Menschheit wie ein «Boiling Frog», wenn es um den Klimawandel geht? Die Fakten sind seit Langem klar, 99% der Wissenschafter:innen sind sich einig, dass der Klimawandel Menschen-gemacht ist. Sollen also die max. 1% von klimaskeptischen Wissenschafter:innen recht haben? Klar ist auch, dass unter anderem die Ölindustrie, seit Jahrzehnten bewusst Zweifel säht, wenn es um den Klimawandel geht – es geht ja schliesslich um ihr Geschäft und Überleben.
Welche Gründe gibt es also, weshalb die Menschheit kaum etwas dagegen tut?
Im Kontext des Klimawandels suggeriert die Analogie des «Boiling Frogs», dass Menschen dazu neigen, die schleichenden Veränderungen in ihrer Umwelt nicht zu bemerken oder ernst zu nehmen, bis es zu spät ist. Ein paar mögliche Erklärungen:
- Wahrnehmung langsamer Veränderungen: Menschen haben Schwierigkeiten, langsame und schleichende Veränderungen in ihrer Umwelt wahrzunehmen. Der Klimawandel vollzieht sich über Jahre und Jahrzehnte, was es schwierig macht, direkte Auswirkungen im täglichen Leben zu spüren und darauf zu reagieren.
- Anpassung an neue Normen: Wie der Frosch, der sich an die langsam steigende Wassertemperatur anpasst, gewöhnen sich Menschen an neue «Normalzustände». Extreme Wetterereignisse oder schleichende Veränderungen in der Umwelt können als neue Normalität akzeptiert werden, ohne dass dies ein ausreichendes Mass an Alarm auslöst.
- Psychologische Distanz: Der Klimawandel wird oft als etwas wahrgenommen, das in ferner Zukunft oder in entfernten Teilen der Welt passiert, was die Dringlichkeit des Handelns in der Gegenwart mindert.
- Komplexität und Unsicherheit: Die Komplexität des Klimawandels und die damit verbundenen Unsicherheiten können zu einem Gefühl der Ohnmacht führen. Dies kann dazu führen, dass Menschen die Bedrohung ignorieren oder leugnen, anstatt sich ihr zu stellen und Massnahmen zu ergreifen.
- Kognitive Dissonanz: Der Wunsch, den Lebensstil nicht ändern zu müssen, kann zu kognitiver Dissonanz führen, bei der widersprüchliche Informationen (z.B. über die Auswirkungen des eigenen Handelns auf das Klima) ignoriert oder rationalisiert werden.
- Sozioökonomische Faktoren: Für viele Menschen können unmittelbare wirtschaftliche und soziale Sorgen die Besorgnis über langfristige ökologische Veränderungen überschatten.
Punkt 4 ist in diesem Zusammenhang speziell interessant: Klimamodelle sind in der Tat komplex und können als Ganzes heute noch nicht einmal von den leistungsfähigsten Super-Computern berechnet werden. Durch Grids können sie jedoch verlässliche Aussagen machen. Und als wichtigster Punkt, wie ihn der Physiker und Professor für die Dynamik des Klimasystems, Anders Levermann in der 3sat-Dokumentation und -Diskussion «Flucht vor dem Klima» gemacht hat: Das Grundproblem des Menschen-gemachten Klimawandels ist alles andere als komplex. Sobald es die Menschheit schafft, die Nutzung fossiler Brennstoffe erheblich zu reduzieren, ist das grösste Problem gelöst. Und Lösungen dazu gibt es für fast alle Bereiche und Industrien bereits heute.
Sind menschliche Vermeidungsstrategien fatal für den Umgang mit dem Klimawandel?
Menschliche Vermeidungsstrategien im Kontext des Klimawandels sind psychologische und teilweise wohl auch wirtschaftliche Mechanismen, die dazu führen, dass Individuen Informationen, Entscheidungen oder Handlungen vermeiden, die unangenehm, beängstigend oder mit einem Konflikt verbunden sind. Einige Schlüsselaspekte dieser Vermeidungsstrategien dürften sein:
- Leugnung: Eine direkte Form der Vermeidung, bei der Menschen die Existenz des Klimawandels oder seinen anthropogenen Ursprung leugnen. Diese Strategie ermöglicht es Individuen, keine Veränderungen in ihrem Lebensstil vornehmen zu müssen oder sich mit der Bedrohung auseinandersetzen zu müssen.
- Distanzierung: Menschen neigen dazu, den Klimawandel als ein Problem wahrzunehmen, das räumlich und zeitlich entfernt ist – etwas, das zukünftige Generationen oder Menschen in anderen Teilen der Welt betrifft, aber nicht sie selbst oder ihre Gemeinschaft. Diese Distanzierung reduziert das Gefühl der Dringlichkeit und persönlichen Verantwortung.
- Fatalismus: Einige Menschen empfinden den Klimawandel als ein so überwältigendes Problem, dass sie glauben, ihre Handlungen könnten keinen Unterschied machen. Dieser Fatalismus führt zu Passivität, da der Glaube vorherrscht, dass Veränderungen unwirksam oder zu schwierig zu erreichen sind.
- Selektive Aufmerksamkeit und Bestätigungsfehler: Menschen neigen dazu, Informationen auszuwählen, die ihre bestehenden Überzeugungen unterstützen, und widersprüchliche Informationen zu vermeiden oder abzuwerten. Im Kontext des Klimawandels bedeutet das, dass sie dazu neigen, Berichte oder Daten, die die Ernsthaftigkeit des Problems herunterspielen, zu bevorzugen.
- Ablenkung und Beschäftigung mit dem Alltag: Viele Menschen sind mit den unmittelbaren Anforderungen des täglichen Lebens beschäftigt – Arbeit, Familie, persönliche Probleme –, was wenig Raum für die Beschäftigung mit globalen oder abstrakten Problemen wie dem Klimawandel lässt.
- Verschiebung der Verantwortung: Dies beinhaltet, die Verantwortung für Massnahmen gegen den Klimawandel auf andere zu übertragen, sei es auf Regierungen, Unternehmen oder andere Länder. Indem sie die Verantwortung von sich selbst weg und auf andere Akteure schieben, können Individuen die Notwendigkeit umgehen, ihr eigenes Verhalten zu ändern.
Punkt 1 und 6 sind aus meiner Sicht wichtig, um weiter erklären zu können, weshalb sich viele Menschen nicht mit dem Klimawandel auseinandersetzen wollen und zudem vermehrt Politiker und Aktivisten attackiert werden, die sich für mehr Klimaschutz engagieren und ihn auch sehr klar ins Gewissen rufen. Als Beispiel dienen hier die Grünen in Deutschland und die wenig beliebten «Klimakleber». Klimakleber machen auf etwas aufmerksam, was die Menschheit und auch einzelne Bürger:innen definitiv etwas angehen, aber nicht genügend Beachtung finden. Und, als weitere Frage: Ist ziviler Ungehorsam nicht doch auch angebracht, wenn der Frosch langsam gekocht wird? Bauern haben mit ihren Protesten in verschiedenen Ländern viel längere Staus und mehr Schaden verursacht, als Klimakleber. Sie wurden aber politisch, gesellschaftlich und auch juristisch mit Samthandschuhen angefasst. Weshalb? Hat es mit Leugnung, siehe Punkt 1, eines unangenehmen Themas zu tun?
Kommen wir zu Punkt 6: Kann der/die Einzelne überhaupt etwas ausrichten, wenn es um ein globales Thema wie den Kimawandel geht? Bestimmt. Viel wichtiger sind aber zweifelsohne die richtigen politischen Rahmenbedingungen. Aber auch dort sind es viele unangenehme Themen, die zunächst Investitionen verlangen, um mittel- bis langfristig gesamtwirtschaftlich zu profitieren und enorme volkswirtschaftliche Schäden abzuwenden. Die schon heute vermehrt auftreten. Neben der Kommunikation leiden effektive Klimamassnahmen aktuell zu Teilen auch noch unter einem Finanzierungsgap. Um verlässliche politische Rahmenbedingungen zu schaffen, sollten Einzelne vor allem ihren Einfluss an der Urne geltend machen.
Die Zustimmung zu klimapolitischen Massnahmen
In ihrer Studie «Fighting Climate Change: International Attitudes Toward Climate Policies» beleuchtet Harvard-Ökonomin Stefanie Stantcheva zusammen mit anderen Wissenschafter:innen Anreize und die internationale Bereitschaft, etwas gegen den Klimawandel zu tun. Eine wichtige Aussage der Studie: «Es zeichnet sich eine klare Mehrheit ab, die den Klimawandel auf menschliche Aktivitäten zurückführt: Ein Drittel ist überzeugt, dass vor allem menschliches Handeln dafür verantwortlich ist. In verschiedenen Ländern glauben zwischen 60 und 90 Prozent der Befragten, dass menschliche Aktivitäten massgeblich zum Klimawandel beitragen.»
Gemäss Stantcheva basiert die Zustimmung der Bürger zu klimapolitischen Massnahmen vor allem auf drei Säulen: «Der wahrgenommenen Effektivität der Massnahmen zur Senkung der Emissionen, ihrer Gerechtigkeit, insbesondere für einkommensschwächere Haushalte, sowie der finanziellen Auswirkungen auf Einzelpersonen. Experimentell wurde zudem belegt, dass spezifische Informationen zu diesen Aspekten die Unterstützung für Klimaschutzmassnahmen deutlich erhöhen können, während generelle Informationen über den Klimawandel einen geringeren Effekt zeigen.»
Was kann Kommunikation beitragen?
Levermann sagte im Spiegel zu selbst auferlegten Grenzen, um den Klimakollaps zu verhindern: «Wir müssen Grenzen als Gesellschaft setzen. Sie sollten so selten aber auch so verbindlich sein, wie unsere Verfassungen, und so selbstverständlich werden wie Menschenrechte. Wir müssen die Angst vor diesen Grenzen verlieren und verstehen, dass sie unsere Freiheit garantieren. In der Umweltpolitik hat etwa die deutsche Regierung, aber auch die Europäische Union in den vergangenen Jahrzehnten grosse Fehler gemacht. Statt grosser Linien haben die Politikerinnen und Politiker Mikromanagement betrieben und sich im Kleinklein verloren. Zu viele Regeln hindern uns, weil sie planwirtschaftlich zu lenken versuchen.» Und weiter: «Wären wir vernünftig, würden wir die natürlichen Grenzen der Umwelt oder des Klimas respektieren. Die sind eindeutig. Ein Blick in die Geschichte verrät, dass der Mensch sich anpasst und mit den Grenzen kreativ umgeht: Er hat ebenso gelernt in der kalten Arktis zu leben wie in Wüsten. In Regionen mit Wasserknappheit haben Ingenieure Wasserrecyclingsysteme und Tröpfchenbewässerung entwickelt, die dann exportiert wurden. Wir beobachten auch einen enormen Innovationsschub bei Wind- und Solaranlagen. Begrenzung macht innovativ und fortschrittlich.»
Es geht nach Levermann zuerst also um eine verständliche Regelung im Grossen.
Folgende Punkte können dazu beitragen, um Klimakommunikation (wieder) erfolgreich zu machen:
- Zielgerichtete Kommunikation: Es ist wichtig, die Menschen mit der richtigen Art der Kommunikation zu erreichen, die auf die jeweilige Zielgruppe zugeschnitten ist und konkrete Aspekte des Klimawandels anspricht, die eine praktische Relevanz für sie haben.
- Durchbrechen von Routinen: Um Aufmerksamkeit zu gewinnen, sollte man eingefahrene Routinen oder etablierte Muster durchbrechen und mit konkreten Aspekten des Klimawandels und -schutzes an die Menschen herantreten
- Fokus auf konkrete Massnahmen: Die Klimakommunikation sollte sich auf konkrete Massnahmen gegen den Klimawandel konzentrieren, um die Menschen zum Handeln zu motivieren. Dies beinhaltet sowohl persönliche Massnahmen als auch systemische Veränderungen
- Reduktion der Komplexität: Es ist wichtig, die Komplexität in der Kommunikation zu reduzieren, indem man den Kern der Botschaft erfassbar macht und sich auf das Wesentliche konzentriert. Dies hilft dabei, die Komplexität beherrschbar zu machen und eine klare Kommunikation zu gewährleisten.
- Wissenschaftliche Glaubwürdigkeit wahren: Die kommunizierten Informationen müssen wissenschaftlich fundiert sein und wenn immer möglich auf Quellen und Studien verweisen, um Glaubwürdigkeit zu gewährleisten.
- Positive Aspekte und Chancen hervorheben: Klimaschutz bedeutet nicht Verzicht und Mehrkosten. Im Gegenteil, selbst kurzfristig, ist Solarstrom als Beispiel schon heute der günstigste. Wenn man die vorhin zitierte «Distanzierung» des Klimawandels weglässt, überwiegen schon heute die Chancen und der Nutzen. Je weiter wir in die Zukunft denken, umso grösser werden sie.
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