«ESG ist tot» – ist immer öfter zu lesen und zu hören. Der Begriff ist politisch inzwischen sehr aufgeladen, zu viel Greenwashing, zu viel Unklarheit, zu wenig Verbindlichkeit. Ist er noch zu retten?
Anfang September fanden gleich zwei spannende Anlässe rund um ESG, Innovation, Künstliche Intelligenz und Sustainable Finance statt. Einer online von der Zeitung Finanz und Wirtschaft zum Thema «AI und ESG – Chancen und Risiken erkennen und managen», einer offline aus der Zusammenarbeit des Swiss Finance Institutes (SFI) mit Swiss Sustainable Finance (SSF). Der Titel: «Financial Innovation – Accelerating the Change».
Swiss Banking: AI und ESG als Treiber für Innovation und Nachhaltigkeit
August Benz von Swiss Banking eröffnete den FuW-Event mit seiner Einleitung «AI und ESG: zwei Treiber für einen innovativen und nachhaltigen Finanzplatz Schweiz». Die wichtigsten Einflüsse von AI und ESG auf Finance sieht Swiss Banking aktuell in diesen Bereichen:
- Smart Assistants
- Portfolio Allocation
- Robo Advisory
- AI Copilot
- ESG Risk Monitoring
- ESG Risk Reporting
- CO2 Footprint
Richtig entscheiden mit den richtigen Informationen
Andri Stocker von Clarity AI, dem umfassenden Nachhaltigkeitsbaukasten für die Bewertung und Beurteilung von Investments bezüglich Nachhaltigkeit, hatte in seiner Präsentation einige Überschneidungen mit Swiss Banking. Sein Titel: «Wo liegen die grössten ESG-Herausforderungen und wie kann AI konkret dabei helfen diese sinnvoll und effizient zu meistern?» ESG Risks und dem CO2 Footprint, kommen dabei wenig überraschend wie bei Swiss Banking eine grosse Bedeutung zu. Clarity AI unterteilt die Schwerpunkte ihrer Dienstleistungen in vier Dimensionen: Impact, Risk, Klima und Regulatorische Anforderungen. Das Ziel ist es, auf Basis von umfassenden und geprüften Informationen, Investments richtig zu steuern.
AI kann wie gewohnt beim Erfassen und Verarbeiten von grossen Datenmenden unterstützen. Beispielsweise beim Monitoring von Kontroversen mit Natural Language Processing NLP in öffentlich zugänglichen Informationen. Eine Frage kann dazu lauten: Macht ein Unternehmen wirklich das, was es in der Öffentlichkeit vorgibt, zu tun? Clarity AI trägt damit bei, Risiken zu erkennen und zu managen oder auch Werte und Impact zu prüfen und auf Kurs zu bringen.
Das Finanzsystem – ein (grosser) Teil eines viel grösseren Ganzen
Jared Bibler, Autor des Bestsellers «Iceland’s Secret», der den wirtschaftlichen Kollaps Islands nach 2008, ausgelöst durch die drei grossen isländischen Banken, aufarbeitete, eröffnete die Veranstaltung «Financial Innovation – Accelerating the Change» mit einem Blick aufs grosse Ganze. Welche Elemente ein Finanzsystem definieren und wie es funktionieren sollte und wie es eben 2008 in Island nicht funktionierte. Er betonte die Einbettung des Finanzsystems in etwas viel Grösseres – was eigentlich klar sein soll, bei der Bedeutung des Finanzsystems und der regelmässig auftauchenden kriminellen Energien in Teilen des Systems, aber öfter in Vergessenheit gerät.
Transitionsrisiken von Banken
Zacharias Sautner, Professor für Sustainable Finance der Universität Zürich, gab in seiner Präsentation «Climate Transition Risks of Banks» einen Überblick wie sich das Climate Transition Risk Exposure (CTRE) amerikanischer Banken über die Jahre verändert: Ein erstes Fazit; es reduziert sich seit vielen Jahren und konvergiert zum anderen auch. Aber weshalb?
Das CTRE bemisst den gewichteten Anteil des Scope 1 CO2-Ausstosses von Firmen, die von den betreffenden Banken Kredite erhalten. Es geht beim CTRE also um das Kreditportfolio und den damit mitfanzierten CO2 Ausstoss. Seit dem Klimaabkommen von Paris ist er nochmals zurückgegangen, den von Trump verursachten Ausstieg aus dem Abkommen hat vielleicht überraschend nicht wieder zu einem Anstieg geführt.
Ein interessantes Finding aus der CTRE-Untersuchung war aber, dass nicht die finanzierten Firmen sauberer geworden sind, sondern die Reduktion des CTRE mehr durch eine Umschichtung des Kreditportfolios erreicht wurde. Das heisst, dass weniger schmutzige Firmen bzw. Geschäfte finanziert wurden.
Ob dies auch für Schweizer Banken wie die UBS oder CS gilt? Eher nicht, Zahlen zum CTRE für Schweizer Banken gibt es nicht, zwar nicht. Der Tagesanzeiger schrieb aber Ende September 2023: «UBS und CS geben sich grün – und leiten 263 Milliarden Franken in Öl- und Gasfirmen», dies von 2016 bis 2023.
Die grössten Empfänger solcher Finanzierungen waren (es handelt sich hier um Anleihen und keine Bankkredite wie bei den untersuchten US-Banken):
Egal, ob es sich um Kredite oder Anleihen handelt, die UBS und Credit Suisse verursachen damit weiterhin grosse Klimarisiken für die Allgemeinheit und auch Reputationsrisiken für sich selbst. Die Erträge scheinen die Risiken nach wie vor zu übersteigen – für die Banken zumindest. Und für die Allgemeinheit? Ganz grundsätzlich haben wir vor Kurzem darüber gebloggt: «Der Preis von externalisierten Kosten».
Eine zusätzliche Frage stellt sich hier: Es wird immer wieder gefordert – wohl zu Recht, wenn man die riesigen Gewinne betrachtet, die gerade in den aktuellen Krisenzeiten mit fossilen Energien wieder erzielt werden – dass Unternehmen und Geschäfte mit fossilen Energien nicht mehr finanziert werden dürfen. Das ist grundsätzlich richtig, doch wie gross sind die Risiken, wenn solche Brown Assets nicht mehr durch international regulierte Banken finanziert werden dürfen und nur noch in unregulierten und noch undurchsichtigeren Prozessen und Märkten möglich wären? Dies gilt es in einem komplexen Umfeld zusätzlich abzuwägen.
In den USA scheint der Aktienmarkt höhere CTREs mit höheren Risikoprämien zu verbinden und auch abzustrafen. Grundsätzlich brachte die Untersuchung der CTREs bei den Banken weitere Schlussfolgerungen zu Tage: Die CTREs waren umso höher, je grösser die Banken und je höher die Hebel/Leverages waren – und je tiefer der Frauenanteil in der Führungsetage.
Was kann eine einzelne Bank tun?
Maire-Laure Schaufelberger, Head of Group ESG von Pictet, hob den Paradigmenwechsel hin zu einem verantwortungsvollen Kapitalismus in den letzten Jahren als Basis für Veränderungen hervor. Weg vom Shareholder Value – Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt werden nicht mehr als konkurrierende Systeme gesehen, sondern mehr als Teile eines grossen Ganzen. Zumindest von einem immer grösseren Teil der Marktteilnehmer:innen. Das grosse Ganze betonte auch Jared Bibler in seiner Einführung.
Pictet fokussiert in ihrem Bestreben, Risiken zu reduzieren und Chancen zu ergreifen dabei auf Branchen, wo sie traditionell viel Erfahrung mitbringt und wo die Bank die grössten Hebel sieht: Es sind dies ESG-sensitive Bereiche wie fossile Brennstoffe, Pestizide und genmanipulierte Organismen und damit Themen wie Klima, Ernährung/Landwirtschaft und Wasser. Schaufelberger betonte die Wichtigkeit von Kooperationen in Organisationen und Initiativen wie Climate Action 100+, Valuing Water Finance Initiative und Access to Nutrition Initiative, die zusammen riesige Investment-Volumen bündeln. Darüber hinaus nimmt Pictet immer mehr durch die Ausübung von Aktionärsrechten Einfluss auf die Transition.
Schaufelberger betonte zudem die nach wie vor führende Rolle der Schweiz als offshore Wealth-Center.
Innovative Finance? Die Perspektive der Société Générale und der UBS
Auch die französische Grossbank und die UBS kamen an diesem Anlass zu Wort. Die UBS wenig innovativ, aber zumindest mit einem detaillierten Blick auf die unterschiedlichen Bedürfnisse verschiedener Unternehmen in der Transition, die Société Générale mit einer interessanten Tour d’Horizon, was bei der Finanzierung des Übergangs wichtig sein könnte.
Die UBS unterscheidet verschiedene Industrie-Profile bezüglich der Emissionen von Scope 1 bis 3 und die benötigten Investitionen, um Scope 1- und Scope 2-Emissionen zu reduzieren und leitet daraus mögliche Rollen einer Bank ab.
Folgende mögliche Rollen sieht die UBS, um die Transition zu finanzieren:
- Traditionelle Finanzierungslösungen zur Unterstützung von Capex und Opex für die
- Dekarbonisierung
- Spezielle branchen- und kundenspezifische Finanzierungslösungen, z. B.: Projekt-/ Infrastrukturfinanzierung zum Beispiel für den Ausbau von Grids, Absatzfinanzierung für den Kauf von Maschinen direkt oder über SPVs, Endverbraucherfinanzierung für z. B. PV-Leasing
- M&A-Beratung und Finanzierung für mehr Kontrolle über die Lieferkette oder Erweiterung des Produktportfolios
- Risikomanagement, z. B. Devisen- und Rohstoffabsicherung
- Handel mit CO2-Zertifikaten
Die Société Générale wagt einen viel weiteren Blick auf Finanzierungsmöglichkeiten des Übergangs:
- Hybride Verbriefung und Verteilung zur Ausweitung des Einsatzes kleinerer Übergangsvermögenswerte
- Aufbau sektorübergreifender Koalitionen und Investmentfonds, die sich spezifischen Transformationsthemen widmen
- Unterstützung von aufstrebenden Industrie-Leadern durch spezielle Eigenkapital- und Fremdkapitallösungen
- Blended Finance als Wegbereiter der privaten Kapitalallokation in aufstrebende Regionen oder Anlageklassen
- Entwicklung innovativer Tools und Messkonzepte zur Information über die Kapitalallokation
- Erweiterte Modellierung zum Verständnis von Risikoprofilen neuer und komplexer Übergangsvermögenswerte
Ist der CO2 Zertifikate-Handel als Finanzinstrument sinnvoll?
Eric Nowak, Professor of Finance an der USI, plädiert klar für den CO2 Zertifikate- bzw. Emissions-Handel. Auch wenn er in der letzten Zeit in Verruf geraten ist, sieht Novak ihn als wichtiges und effizientes Element, vor allem, um die weltweite Abholzung zu stoppen, die einerseits zu einem CO2-Anstieg und zum anderen auch massgeblich zum Verlust an Biodiversität führt. «Wir können die stärkste Wirkung erzielen, indem wir Gelder für den Schutz des Regenwaldes in Entwicklungsländern bereitstellen. Indem wir des derzeit problematischen freiwilligen Emissionshandels ausweiten und Finanzinnovationen bereitstellen, um Gelder von wohlhabenden Ländern in arme Länder zu leiten.»
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