Nachhaltiges Bauen, nachhaltige Städte: Was tragen Architektur-Chartas dazu bei?

Die Charta von Athen der CIAM (Congrès Internationaux d’Architecture Moderne, Internationale Architektur-Kongresse von 1928 bis 1959) von 1933 legte die Grundprinzipien des modernen Städtebaus fest, darunter die Trennung von Funktionen (Wohnen, Arbeiten, Erholen, Einkaufen, Gewerbe und Industrie und weitere), die Förderung von Grünflächen und die Anpassung an die Bedürfnisse der Automobilgesellschaft. Aus heutiger Sicht sind solche Schwerpunkte kaum mehr nachvollziehbar – aus der Sicht von der zunehmenden Industrialisierung und dem damit verbundenen Fokus auf Effizienz und Funktionalität zu einem gewissen Grad verständlich.

In CIAM (1933), Seite 131 heisst es: Alle Stadtplanung muss den Menschen zum Massstab haben. Mit dem Bedarf an verkehrstechnischer Verbindung aller funktionalen Teil-Städte und der grossen Bedeutung des Autos in dieser Charta, ein hehrer Wunsch. Trotzdem ist dieses Ziel äusserst interessant und nach wie vor eine zentrale Frage der Architektur und des Städtebaus: Wofür werden Städte gebaut? Welche Ziele und Zielgruppen sind zu berücksichtigen?

Welche Chartas der Architektur gab es seither? Mit welchem Fokus?

  1. Die Erklärung von La Sarraz (CIAM, 1928): Diese Erklärung wurde beim dritten Kongress des CIAM in La Sarraz, Schweiz, verabschiedet. Sie betonte die Bedeutung der Funktion und der sozialen Verantwortung des Architekten sowie die Ablehnung überholter historischer Stile zugunsten einer modernen, funktionalen Architektur.
  2. Die Charta von Venedig (ICOMOS, 1964): Diese Charta wurde vom Internationalen Rat für Denkmalpflege (ICOMOS) verabschiedet. Sie stellt Leitlinien für die Erhaltung und Restaurierung von historischen Stätten und Denkmälern auf und betont die Bedeutung der Authentizität, des Respekts vor der Geschichte und des Schutzes des kulturellen Erbes.
  3. Die Deklaration von Brasília (UIA, 1963): Diese Deklaration wurde vom Internationalen Architektenkongress der Union Internationale des Architectes (UIA) in Brasilia, Brasilien, verabschiedet. Sie befasste sich mit den sozialen und ästhetischen Herausforderungen des modernen Architekten und betonte die Bedeutung der Integration von Architektur und Umwelt.
  4. Die Charta von ICOMOS für den Energieverbrauch im kulturellen Erbe (ICOMOS, 2003): Diese Charta legt Grundsätze für den umweltverträglichen Umgang mit dem kulturellen Erbe fest. Sie betont den Schutz des Erbes vor den Auswirkungen des Klimawandels und den verantwortungsbewussten Einsatz von Energie in historischen Gebäuden und Stätten.

Welche Chartas, Organisationen und Veranstaltungen befassen sich mit nachhaltigem Städtebau?

Die Charta von Leipzig wurde im Jahr 2007 von den 27 für Stadtentwicklung zuständigen Minister:innen in Europa verabschiedet. Sie soll die nachhaltige Entwicklung von Städten und Regionen in Europa fördern und beinhaltet folgende zentrale Inhalte:

  1. Nachhaltige Stadtentwicklung: Die Charta betont die Bedeutung einer nachhaltigen Stadtentwicklung, die ökologische, soziale und ökonomische Aspekte berücksichtigt. Dabei geht es um die Schaffung von lebenswerten Städten und Regionen, die die Bedürfnisse der gegenwärtigen und zukünftigen Generationen erfüllen.
  2. Kompakte Stadtstrukturen: Die Charta fordert die Förderung von kompakten Stadtstrukturen, um die Flächeninanspruchnahme zu begrenzen und eine nachhaltige Nutzung des Raums zu gewährleisten. Dies beinhaltet die Stärkung der Innenentwicklung, die Nutzung von Brachflächen sowie die Reduzierung von Verkehrs- und Infrastrukturflächen.
  3. Nachhaltige Mobilität: Ein weiterer zentraler Aspekt der Charta ist die Förderung nachhaltiger Mobilitätssysteme. Dies beinhaltet den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs, die Förderung des Fuss- und Radverkehrs, die Reduzierung des Autoverkehrs und die Schaffung von barrierefreien Verkehrsmitteln.
  4. Soziale Integration und kulturelle Vielfalt: Die Charta betont die Wichtigkeit sozialer Integration und kultureller Vielfalt in Städten. Es geht darum, eine gerechte Gesellschaft zu schaffen, in der alle Menschen Zugang zu Wohnraum, Bildung, Gesundheitsversorgung und öffentlichen Einrichtungen haben.
  5. Partizipation und Zusammenarbeit: Die Charta fördert die aktive Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger an Entscheidungsprozessen und die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Akteuren wie Kommunen, Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Forschung. Es geht um die Schaffung von kooperativen und partnerschaftlichen Strukturen für eine nachhaltige Stadtentwicklung.

Das Netzwerk C40 Cities steht für eine weltweite Koalition von Grossstädten, die sich gemeinsam für die Bekämpfung des Klimawandels und die Förderung einer nachhaltigen Entwicklung einsetzen. Der Name «C40» bezieht sich auf die ursprünglich 40 Gründungsmitglieder des Netzwerks, die im Jahr 2005 in London zusammenkamen. Heute umfasst das Netzwerk mehr als 100 Grossstädte weltweit.

Die Hauptziele des C40-Netzwerks sind:

  1. Reduzierung von Treibhausgasemissionen: C40-Städte arbeiten aktiv daran, ihre Treibhausgasemissionen zu reduzieren und die globalen Klimaziele, insbesondere das Pariser Abkommen, zu erreichen. Sie setzen auf Massnahmen wie den Ausbau erneuerbarer Energien, Energieeffizienz, nachhaltigen Verkehr und klimafreundliche Stadtplanung.
  2. Förderung nachhaltiger Stadtentwicklung: C40-Städte setzen sich für eine nachhaltige Stadtentwicklung ein, die Umweltbelastungen verringert, die Lebensqualität verbessert und die Anpassungsfähigkeit an den Klimawandel erhöht. Dies umfasst die Förderung von Grünflächen, den Schutz der natürlichen Ressourcen, die Abfallreduzierung und die Verbesserung der Luftqualität.
  3. Austausch bewährter Praktiken und Zusammenarbeit: C40-Städte teilen ihr Wissen, ihre Erfahrungen und bewährten Praktiken im Umgang mit dem Klimawandel und der nachhaltigen Stadtentwicklung. Sie arbeiten zusammen, um innovative Lösungen zu entwickeln, technologischen Fortschritt zu fördern und politische Massnahmen voranzutreiben.
  4. Einflussnahme auf globale Klimapolitik: C40-Städte nehmen aktiv Einfluss auf die internationale Klimapolitik, indem sie ihre Stimme in globalen Foren erheben, politische Empfehlungen abgeben und gemeinsame Interessen vertreten. Sie engagieren sich auch in Partnerschaften mit Regierungen, Unternehmen und zivilgesellschaftlichen Organisationen, um die Umsetzung von Klimaschutzmassnahmen voranzutreiben.

Die New Urban Agenda (NUA) der Vereinten Nationen wurde im Jahr 2016 auf der Habitat-III-Konferenz in Quito verabschiedet. Es stellt einen globalen Konsens über die Grundsätze und Ziele für eine nachhaltige städtische Entwicklung dar. Hier sind einige zentrale Inhalte der New Urban Agenda:

  1. Nachhaltige städtische Entwicklung: Die NUA bekräftigt die Bedeutung einer nachhaltigen städtischen Entwicklung, die soziale, wirtschaftliche und ökologische Aspekte gleichermassen berücksichtigt. Sie betont die Notwendigkeit, Städte lebenswert, inklusiv, sicher, widerstandsfähig und nachhaltig zu gestalten.
  2. Recht auf Wohnen: Die NUA bekräftigt das Recht auf angemessenen Wohnraum als grundlegendes Menschenrecht und fordert Massnahmen zur Förderung von bezahlbarem Wohnraum, informellen Siedlungen und der Verbesserung von Wohnbedingungen insbesondere für benachteiligte Bevölkerungsgruppen.
  3. Inklusive Stadtentwicklung: Die NUA betont die Notwendigkeit, inklusive Städte zu schaffen, in denen niemand diskriminiert wird und alle Bewohnerinnen und Bewohner gleichberechtigt Zugang zu Dienstleistungen, Chancen und öffentlichen Räumen haben. Sie fordert Massnahmen zur Bekämpfung von Armut, sozialer Ausgrenzung und Ungleichheiten.
  4. Nachhaltige Mobilität: Die NUA fordert die Förderung nachhaltiger Verkehrssysteme, die den Zugang für alle Bevölkerungsgruppen gewährleisten, insbesondere für Menschen mit eingeschränkter Mobilität. Sie betont die Bedeutung von Fussgängerzonen, Radwegen, öffentlichem Nahverkehr und der Reduzierung von Verkehrsbelastungen.
  5. Umweltschutz und Klima-Resilienz: Die NUA betont den Schutz der natürlichen Ressourcen, die Förderung von Umweltverträglichkeit und den Umgang mit den Auswirkungen des Klimawandels in städtischen Gebieten. Sie ruft zur Förderung von grüner Infrastruktur, nachhaltiger Nutzung von Ressourcen und Massnahmen zur Anpassung an den Klimawandel auf.
  6. Städtische Governance: Die NUA betont die Bedeutung von effektiver städtischer Governance und partizipativen Entscheidungsprozessen. Sie fordert die Stärkung lokaler Regierungen, die Zusammenarbeit zwischen verschiedenen Ebenen der Regierung und den Dialog mit den Bürgerinnen und Bürgern.

Eine kurze Geschichte der Stadt

Wie haben sich Städte über die Jahrhunderte verändert? Wie wurden sie gedacht, mit welchen wichtigen Elementen?

Antike Stadtentwicklung:

  • Griechische Polis: Die griechischen Stadtstaaten entwickelten sich zu unabhängigen politischen und sozialen Einheiten mit einem zentralen Versammlungsplatz, öffentlichen Gebäuden und Wohnvierteln.
  • Römische Stadt: Römische Städte zeichneten sich durch ihre rechtwinklige Strassengitteranordnung (Kardinal- und Decumanus-Strassen) und ihre monumentalen öffentlichen Bauten wie Foren, Thermen und Amphitheater aus.

Mittelalterliche Stadtentwicklung:

  • Stadtmauern: Aufgrund von Konflikten und Verteidigungsbedürfnissen wurden viele mittelalterliche Städte von Stadtmauern umgeben, um Schutz zu bieten.
  • Enge, gewundene Strassen: Die Strassen der mittelalterlichen Städte waren oft schmal und gewunden, um die Bebauung innerhalb der Stadtmauern zu maximieren.
  • Zentraler Marktplatz: Der zentrale Marktplatz (Marktplatz) war das Herzstück der mittelalterlichen Stadt, umgeben von wichtigen öffentlichen Gebäuden wie Rathaus und Kirche.

Renaissance und Barock:

  • Stadterweiterung: In der Renaissance und im Barock wurden Städte durch geplante Erweiterungen und grosszügige Platzanlagen vergrössert.
  • Monumentale Architektur: Paläste, Kathedralen und repräsentative öffentliche Gebäude wurden im Stil der Renaissance und des Barocks errichtet, um Macht und Reichtum zu demonstrieren.

Industrielle Revolution:

  • Industrielle Vororte: Mit dem Aufkommen der Industrialisierung entstanden Fabrikstädte und industrielle Vororte, die Arbeitskräfte in die Nähe von Produktionsstätten brachten.

Moderne Stadtentwicklung:

  • Funktionalismus: Der Funktionalismus in der Architektur betonte die Rationalität, Effizienz und Funktionalität von Gebäuden und Stadtplanung.
  • Städtebauliche Zonierung: Städte wurden in Zonen für Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Verkehr aufgeteilt, um eine effiziente Nutzung des städtischen Raums zu ermöglichen.
  • Hochhäuser und Stadterneuerung: Moderne Stadtentwicklung umfasste die Einführung von Hochhäusern und städtebauliche Erneuerungsprogramme zur Modernisierung bestehender Stadtviertel.

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