Forum Architektur: Zirkuläre Architektur – Kreislauffähiges Bauen

Wie viel Material verbraucht die gesamte Schweizer Volkswirtschaft? Welchen Anteil trägt daran die Bauwirtschaft? Welchen Anteil der Materialien halten wir bereits in einer „Kreislaufwirtschaft“? Wie wird kreislauffähiges Bauen in der Schweiz gefördert?

Mit diesen Fragen befasste sich das Forum Architektur vom 20. April 2023 in Wettingen. Der Anlass fand im Rahmen der Bauen+Wohnen Aargau statt, Träger waren das Bundesamt für Energie und EnergieSchweiz.

Vom grossen Ganzen, zu Details: Der Materialfluss/DMC der Schweizer Volkswirtschaft

Marcel Gauch, Nachhaltigkeitsdelegierter der EMPA, nahm in seiner Präsentation die Vogelperspektive ein und zeigte die Materialflüsse der Schweizer Volkswirtschaft als Ganzes: 87 Millionen Tonnen Material hat die Schweiz 2018 insgesamt konsumiert.

Nicht so sehr überraschend, dominiert die Bauwirtschaft mit 71.3% den Konsum nach Gewicht der benutzten Materialien, gefolgt von „Produktion & Konsum“ mit 20.4% und der Mobilität mit 8.3%. Neben dem Bausektor fallen vor allem Energieträger und Nahrungsmittel „ins Gewicht“.

Gewichtet man die verbrauchten Materialien nach ihrer Umweltbelastung bzw. dem Treibhauseffekt in CO2-Äquivalenten, ist der Bausektor mit 28.3% noch immer sehr bedeutend, die Mobilität mit einem 28%-Anteil aber gleichbedeutend und „Produktion & Konsum“ mit 43.7% am wichtigsten. Die Nahrungsmittel haben mit 18% einen grossen Anteil an den gesamten CO2-Emissionen der Schweiz, die fossilen Brenn- und Treibstoffe für den Gebäudepark (20%) und die Mobilität (25%) machen mit total 45% den Löwenanteil aus.

Die Schlussfolgerung von Marcel Gauch lautet deshalb: „Hoher Massenfluss bedeutet nicht automatisch hohe Umweltbelastung. It’s all about energy!“. Und weiter wichtig für den Baubereich: „Hohe Energieeffizienz durch Top-Isolation lohnt sich. Die graue Energie der Bau/Isolationsmaterialien ist weniger wichtig als der Gewinn durch tieferen Energiebedarf.“

Und ganz allgemein: Die Dekarbonisierung des Energiesektors ist das Wichtigste, um Net Zero zu erreichen. Danach folgen die Ernährung und das Bauen. Wobei die Dekarbonisierung des globalen Energiemix zu einer Reduktion der Bedeutung von „Grauer Energie“ führt.

Wie hoch ist der Anteil von rezyklierten Mineralien an unserem Verbrauch?

Das Bundesamt für Statistik schreibt dazu: „Seit 2000 ist die Kreislauf-Materialnutzungsquote stetig angestiegen und belief sich im Jahr 2019 auf rund 14%. Mit 71% machten Mineralien den höchsten Anteil am rückgewonnenen Material aus. 18% entfielen auf Biomasse, 10% auf Metalle und 2% auf fossile Energieträger. Bei den rezyklierten Mineralien handelt es sich in erster Linie um Materialien aus Bauschutt, die beispielsweise einen Teil des für die Betonproduktion benötigten Sands ersetzen können. Biomasse wird hauptsächlich durch die Sammlung von Papier, natürlichen Textilien und biogenen Abfällen (Kompost, Klärschlamm) wiederverwertet. Als Nahrungsmittel oder Energieträger (Feuerholz) genutzte Biomasse eignet sich hingegen kaum für Recycling. Metalle werden seit Langem gesammelt und rezykliert und können meist fortlaufend und mit wenig Materialverlust in den Wirtschaftskreislauf zurückgeführt werden. Im Gegensatz dazu sind fossile Produkte schlecht rezyklierbar (es sei denn, sie werden für die Herstellung von Kunststoffen verwendet), da sie hauptsächlich als Energieträger genutzt und durch Verbrennung als Emissionen in die Luft gelangen.“

Zirkuläres Bauen mit Holz

Daniel Müller, Geschäftsleiter Bauphysik der Holzbauingenieure Pirmin Jung, zeigte den aktuellen Stand von zirkulärem Bauen mit Holz am Beispiel des neuen Hauptsitzes „Haus des Holzes“ von Pirmin Jung und der vom Bundesamt für Umwelt in Auftrag gegebenen Studie „Rückbau und Wiederverwendung von Holzbauten“.

Holz soll als CO2-Speicher im Bausektor einen wesentlichen Beitrag zur Minderung der Klimaerwärmung vor allem durch einen tieferen Verbrauch an „Grauer Energie“ leisten. Dafür spielt eine möglichst lange stoffliche Verweildauer eine grosse Rolle. Dies wiederum ruft nach einer Optimierung der Wiederverwendung von Materialien und Bauteilen. Pirmin Jung ist in Zusammenarbeit mit dem BAFU diesen Fragen nachgegangen.

Daniel Müller hält als Projektleiter der Studie als Fazit fest: „Je einfacher die Konstruktion ist, desto grösser ist ihr Potenzial zur Wiederverwendung und desto geringer ist der Aufwand in den Phasen des Rückbaus, der Logistik, der Lagerung und des Wiederaufbaus. Es sollte zudem ein grosses Augenmerk auf die Schichtentrennung gelegt werden. Es ist auch auf den Einsatz einfacher und reversibler Montagesystemen zu achten. Bei der Auswahl der verwendeten Materialien soll eine gute Qualität, lange Lebensdauer, geeignete Dimensionen und gute Rückbaubarkeit angestrebt werden. Wichtig ist der Einfluss des Planungspersonals auf das Konzept des Rückbaus und der Wiederverwendung im Holzbau. Aktuelle Instrumente wie die SIA 2032-Normen oder die Labels Minergie-Eco/SNBS berücksichtigen dieses Konzept noch nicht ausreichend. Um die Wiederverwendung im Holzbau zu fördern, sollten Label die Massnahmen im Sinne des Rückbaus und der Wiederverwendung im Planungsprozess berücksichtigen. Darüber hinaus sollte die Norm SIA 2032 in der Lage sein, entweder die Amortisationszeiten von Materialien zu verlängern oder den geringeren Anteil an grauer Energie und Treibhausgasemissionen bei der Wiederverwendung von Materialien zu berücksichtigen.“

Re-Use von Betonblöcken: Ein Experiment aus der Praxis

In der Schweiz fallen 500 Kilogramm Bauabfälle pro Sekunde an. 84% unseres Abfallaufkommens entsteht durch das Bauen. In einem Experiment mit der Wiederverwendung von Betonblöcken zur Abstützung einer Zwischendecke wurden 11% CO2 eingespart. Dies zeigte Adrian Baumberger vom Baubüro in situ.

Swisspor: Zirkuläre Dämmstoffe

„Die Sanierung dreier Mehrfamilienhäuser mit insgesamt 66 Wohnungen an der Sternmattstrasse in Luzern ist eine Neuheit für die Schweiz: 4000 Quadratmeter Isolationsmaterial werden abgerissen – und anschliessend recycelt. Beim Dämmstoff handelt es sich in diesem Fall um EPS-Hartschaum, der auch unter dem Markennamen Styropor bekannt ist. Anstatt es in einer Kehrichtverbrennungsanlage zu entsorgen, holt die Swisspor AG das Material ab und bringt es zu ihrem Recyclingwerk in Boswil, wo die Firma seit drei Jahren eine Anlage für EPS-Recycling betreibt.“ schreibt die Luzerner Zeitung über das Recycling-Projekt, welches Laurent Caillière, Verantwortlicher Nachhaltiges Bauen und Bauökologie bei swisspor, präsentierte.

Er zeigte, wie swisspor durch das Recycling von verputzten Aussen-Wärmedämmungen (VAWD), in diesem Beispiel EPS/Expandiertes Polystyrol im Vergleich zu Primärrohstoffen auf einen Viertel des CO2-Ausstosses senken kann.

Zirkularität im Bau: „Materialien eine Identität geben“

Marloes Fischer, Gründerin des Circular Hub und Verwaltungsrätin von Madaster Schweiz, stellte zum Abschluss ein digitales Tool vor, welches es erlaubt, Bauten auf Bauteile herunterzubrechen, zu bewerten und zu verwalten: Madaster ermöglicht einen Materialpass auf Ebene Produkt, Objekt, Areal oder Portfolio, der online durch ein BIM-File (IFC) oder auch ein Excel-Dokument erstellt werden kann.

Der Materialpass gibt Auskunft darüber, welche Materialien und Produkte sich im Objekt befinden, welche Auswirkungen sie auf Kreislaufwirtschaft oder Umwelt haben und welchen potenziellen Restwert sie erzielen.

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