Endlich wieder raus. Endlich wieder spannende Gespräche führen und sich von Querdenkern – nein, nicht Corona-Leugnern und anderen Schwurblern – und sich mit engagierten Fachleuten austauschen. Haben sich Event-Konzepte während dieser unfreiwilligen schöpferischen Pause verändert? Welche Ideen bleiben haften von zwei Tagen für eine enkeltaugliche Zukunft?
«Sinnvolle Mobilität» war das Thema am 2. Circular Economy Symposiums des Unternehmens Kyburz, das mit den Post-Töffli DXP als Schweizer E-Mobilität-Pionier gilt und Erfolge im Batterie-Recycling vorweisen kann. «Nachhaltigkeit braucht geniale Köpfe» – Genialität für die Nachhaltigkeit wurde am 9. Swiss Green Economy Symposium diskutiert.
Christoph Mäder, Präsident von economiesuisse, machte am SGES den Anfang. Mit dem Titel «Nachhaltig – wir alle.» machte er deutlich, dass es die Wirtschaft nicht alleine schafft, die ambitionierten Ziele im Klimaschutz zu erreichen. Und dass Genialität Einzelner nicht viel bringt, wenn sie keine Akzeptanz findet und nicht umgesetzt wird. Elemente, wie die Wirtschaft in Richtung Nachhaltigkeit umgebaut werden soll, sind aus der Sicht von economiesuisse folgende:
- Netto-Null-Ziel
- Internationaler Klimaclub
- Prozesseffizienz steigern
- Dekarbonisierung Verkehr
- Potenzial Sektorkopplung
- Forschung & Digitalisierung
- Sustainable Finance
- Freiwillige Einsparungen
- Transparenz schaffen
Der nächste nennenswerte Impuls folgte von Prof. Dr. Michael Süss als Verwaltungsratspräsident von OC Oerlikon mit dem Titel: «Nachhaltigkeit braucht geniale Köpfe – mit Entschlossenheit». Er betonte, dass er ja bekannterweise kein Kind von Traurigkeit sei, Verzicht einen Teil beitragen könne zu Zielen der Nachhaltigkeit, er aber sehr stark auf den technologischen Beitrag und Innovation setze. Entschlossenheit sei dazu der richtige Weg, vor allem auch die politische Entschlossenheit. Dazu Mut zur Realität und zu schnellen Übergangslösungen, um rasch Erfolge erzielen zu können, und Mut zur Innovation. Aus Sicht von Oerlikon verständlich, aber auch aus nachhaltigen Überlegungen ein bemerkenswerter Gedanke: «Können wir es uns (ökologisch) leisten, dass wir alle Kleider aus Bio-Baumwolle tragen?» Müssen nicht auch hier vielleicht etwas romantische Gedanken der guten Naturfasern weichen und auch mehr synthetische Fasern, die ökologisch klare Vorteile haben, mehr berücksichtig werden, gerade wenn es um Fast Fashion geht? Fast Fashion, die natürlich selbstredend keinen Sinn macht. Noch ein wichtiger Aspekt von Süss Präsentation: Gerade wenn es um Oerlikon geht, die mit ihren Technologien vor allem auch anderen Unternehmungen Verbesserungen bezüglich Nachhaltigkeit ermöglicht, betonte er, dass es äusserst wichtig sei, dass Unternehmen Nachhaltigkeit nicht nur isoliert auf ihr Unternehmen sehen, sondern vor allem auch den Multiplikator ihrer Produkte und Dienstleistungen. So nannte er zum Beispiel Oerlikon-Beschichtungen für Flugzeuge, die dann wiederum mithelfen, eine ganz andere Industrie, nachhaltiger zu gestalten.
Prof. Dr. Gian-Luca Bona, Direktor der Empa, sprach über Erneuerbare Energien – Rohstoffe – Kreisläufe und ging zuerst auf den Zusammenhang zwischen menschlicher Entwicklung anhand des Human development index und dem Energiekonsum ein.
Und zeigte danach die Veränderung von wichtigen und teilweise kritischen Ressourcen und Rohmaterialien in der Geschichte der Menschheit bis zum Zeitalter der Elektrifizierung anhand chemischer Elemente. Er kommt wenig überraschend zum Schluss, dass mit neuen nachhaltigen Technologien immer mehr Elemente benötigt werden, die negative ökologische und soziale Implikationen haben können. Doch auch hier zeigt sich, dass Innovation viel zur Lösung beitragen kann. Zum einen durch präzise Daten, die eine genaue Einschätzung der oft komplexen Lage ermöglichen, einen effizienteren Einsatz der Ressourcen und auch eine Weiterentwicklung von Komponenten beispielsweise im Einsatz von E-Fahrzeugen. Stichwort Kobalt in Batterien. Hier schaffen Lithium-Eisenphosphat-Akkus (LFP) bereits eine Verbesserung bezüglich Kobalt, da sie ohne den problematischen Rohstoff auskommen. Doch was heisst hier nun besser, in Bezug auf die geopolitische Situation im Kongo? Nützt es mehr, kein Kobalt mehr nachzufragen oder gemeinsam zu versuchen, Wertschöpfungsketten an Bedingungen zu knüpfen und damit die Herausforderung illegaler Minen anzugehen?
Wenn es darum geht, wo Rohstoffe für (neue) Technologien abgebaut werden, hatte Aili Keskitalo, die Präsidentin des Sami-Parlaments, einen wichtigen Einwand: «Green colonialism is not the answer», was ja schon alles darüber sagt, wie genau viele mögliche Abbaugebiete und Investitionen zu prüfen sind. Zum Beispiel deutsche Windkraftwerke in Norwegen. Oder die chinesische Rohstoff-Invasion in Afrika. Oder Glencore.
A propos Glencore: Anna Krutikov, Head of Sustainable Development von Glencore war im darauf folgenden Panel zum Thema «Nachhaltige Energieerzeugung und Beschaffung von mineralischen Ressourcen» wenig zu beneiden. Sie wiederholte zwar diszipliniert bereits bekannte PR-Parolen von Glencore, doch wer mag diese wirklich glauben? Wichtig an diesem Panel-Setup war aber trotzdem: Es bringt nichts, die «bösen» Jungs von Diskussionen auszuschliessen, wenn sie denn wirklich Interesse an Verbesserungen zeigen und damit einen umso grösseren Impact ermöglichen. Dies betonte auch Gian-Luca Bona, der offenbar öfter dafür kritisiert wird, sich unter anderem mit Glencore an einen Tisch zu setzen. Hoffen wir auf Besserung, wenn bisher auch mit dem neuen Glencore-CEO und Mini-Ivan Gary Nagle Glencore Nachhaltigkeit vor allem hinsichtlich der wirtschaftlichen Dimension zu beherzigen scheint.
Am Nachmittag standen am SGES wie gewohnt die «Innovationsforen» auf dem Programm. Ganz einem Fokus von Content hochzwei verpflichtet, wählten wir «Geniale Smart-Cities-Projekte erfolgreich umsetzen». Ein äusserst spannender Mix machte die Auswahl einmal mehr zur Tortur. Aufteilen konnte ich mich leider nicht. Ein paar andere Themen waren – subjektiv ausgewählt: «Gebäudesanierung und ihre Finanzierung», «Urbane Logistik: Wie sichern wir sie nachhaltig?», «Nachhaltig Finanzieren und Investieren: Wie erzeugen wir Wirkung in der Realwirtschaft?», «Kommunikation: Wie wird Nachhaltigkeit wirkungsvoll kommuniziert?», «Nachhaltige Energie- und Ressourcenbeschaffung: Wie lösen wir Herausforderungen partnerschaftlich? (Stakeholderdialog)», Sie sehen, die Qual der Wahl.
Zur Einleitung erklärte Prof. Vicente Carabias, Leiter der Fachstelle Smart City Winterthur, welche Handlungsfelder gemäss Smart City Wheel nach Boyd Cohen für eine smarte City von Bedeutung sind:
- Smart Energy and Environment
- Smart Economy
- Smart Living
- Smart Mobility
- Smart People
- Smart Government
Anmerkung: Boyd Cohen ist ein Stadt- und Klimastratege, der im Bereich nachhaltige Entwicklung und intelligente Städte arbeitet.
Vicente Carabias zeigte anhand des Swiss Smart City Survey, wie smart Schweizer Städte heute bereits sind. Inside-it fasste die wie folgt zusammen: «Der Swiss Smart City Survey zeigt: Die Aktivitäten beschleunigen sich langsam. 23 Städte haben eine ausgearbeitete Strategie. In Sachen Smart City besteht hierzulande offensichtlich noch viel Nachholbedarf. Obwohl sich mit Zürich und Genf zwei Schweizer Städte auf dem weltweit erhobenen „Smart City Index“ in den Top 10 befinden, können in der Schweiz nur 23 Städte überhaupt eine Smart-City-Strategie vorweisen und 7 sind dabei eine zu erstellen. Das ist dem erstmals vorgelegten „Swiss Smart City Survey“ zu entnehmen. Daran beteiligten sich 84 der 171 Städte, also Ortschaften mit mehr als 10’000 Einwohnern.»
Da uns keines der danach vorgestellten Projekte von Schweizer Smart Cities direkt vom Hocker gehauen hat, verweisen wir hier gerne auf den Smart City Index von IMD und einen Artikel der NZZ, wie Barcelona als eine der führenden Smart City Europas auf ein «europäisches» Modell setzt: «Weder soll wie in China der Staat die Bürger technologisch überwachen, noch sollen amerikanische Tech-Konzerne ihre Daten an Werbetreibende verkaufen. Stattdessen sollen die Daten den Bürgerinnen und Bürgern gehören. 2017 wurde dieser Plan unter dem Motto «technologische Souveränität» präsentiert, nun ist einiges davon Realität.»
Das spannendste Projekt des Nachmittags war aus unserer Sicht SEP – Swiss Energy Planning von geoimpact, ein Energieportal für Gemeinden und Städte, um erneuerbare Energien schweizweit zu planen und zu koordinieren. Dort werden Daten zu Geographie, Gebäuden, Heizungen und PV-Potenzialen gesammelt, analysiert und zugänglich gemacht.
Warum bewegen wir uns – und was ist «sinnvoll»?
Diese Fragen standen am Circular Economy Symposium von Kyburz im Zentrum.
Prof. Dr. Manfred Spitzer, bekannt unter anderem durch seine Kritik an digitalen Medien in seinen Büchern «Digitale Demenz» und «Cyberkrank», fragte am Circular Economy Symposium von Kyburz: Weshalb bewegen wir uns eigentlich, wo ist der Zusammenhang zwischen Hirn und Mobilität? Auch wenn sich seine fast einstündige Präsentation schlecht in wenigen Sätzen zusammenfassen lassen, machen wir es trotzdem. «Der Mensch bewegt sich, weil er Futter braucht. Nahrung fürs Gehirn und/oder den Magen.» Das tat er in der Vergangenheit und das tut er auch heute noch. Sie haben etwas Zeit und wollen sich den ganzen Vortrag anschauen? Das können Sie hier tun – es lohnt sich.
Der Berner Vordenker und Erfinder Andreas Reinhard, der nicht nur durch den Ballon Upside-down oder das legendäre U-Boot am Whiteturf in St. Moritz für viel Aufsehen sorgte, befasst sich schon seit den 70er-Jahren mit Solarenergie und machte 1988 schon thermographische Luftaufnahmen, um Dörfer und Städte energetisch zu analysieren. Auch er kam zum Schluss, dass sich Menschen vor allem bewegen – also mobil sind – wenn sie neugierig sind und Lust auf Antworten haben.
Folgende Elemente, sind für ihn entscheidend, damit Menschen etwas wagen:
- Überraschung, Druck und Not (Ultimative Herausforderungen annehmen)
- Unbekümmertheit
- Leidenschaft und Begeisterung
- Rivalität und Wettbewerb
- Ehrgeiz und Ambitionen
- Ergiebiges Innehalten – Momente der Gelassenheit zelebrieren
- Hunger nach dem Einfachen und Bodenständigen
- Konstruktive Unzufriedenheit
- Spannungen und Dissonanzen als Quellen entdecken
- Gefühltes Wissen – Vertrauen in unsere Intuition
- Unbeschwertes Lernen im Schnellzugstempo – Die Wiederentdeckung des kindlichen Lernens
Der ehemalige Astronaut Prof. Dr. Ulrich Walter richtete danach einen ganz anderen Blick auf die Mobilität – und die Erde: «Mobilität in Extremen», bringt es etwas, soweit in die Ferne zu schweifen? Ulrich Walter wolle die Welt erkunden und wissen, wie sie funktioniert. Mit der Aussage «In dir muss brennen, was du in anderen entzünden willst.», bringt er dann auch kurz auf den Punkt, wie die Raumfahrt als Speerspitze der Technologie helfen kann, Herausforderungen zu meistern: Feuer, Leidenschaft, die akribische Vorbereitung, auf eine Mission, der (unweigerlich distanzierte) Blick fürs Ganze, der die Schönheit der Erde zeigt. Für die es sich lohnt, Herausforderungen zu lösen, die noch so gross sein können.
Auch bei Kyburz kamen Fachleute der Empa zu Wort. Rolf Widmer und Marcel Gauch analysierten Mobilität aus den Gesichtspunkten Ressourcen, Energie und Umweltauswirkungen.
Auch hier waren Rohstoffe und ihre Häufigkeit ein Thema, die gerade bei nachhaltigen Technologien wie Photovoltaik und Batterien zum Einsatz kommen. Wussten Sie zum Beispiel, dass Kobalt in etwa gleich häufig ist, wie Kupfer? Dazu als wichtige Erkenntnis, dass die Sonne nicht nur bei der Photovoltaik, sondern auch bei der Wasser- und Windkraft eine entscheidende Rolle spielt. Und welche Bedeutung damit auch regionale Veränderungen des Klimas auf die Produktion von Strom haben kann.
Dann zeigten die Empa-Fachleute die verschiedenen Antriebsvarianten und wie viel CO2 zum Beispiel verschiedene Stromquellen für die E-Mobilität pro kWh verursachen. Überraschend hier der tiefe Wert von Nuklearstrom und das Fehlen der Wasserkraft – diese dürfte wohl dem Ökostrom entsprechen, auch wenn Wasserkraft je nach Beurteilung nicht ganz so gut wegkommt. Auch beim Solarstrom vom Dach dürfte der Wert heute etwas anders aussehen: 40g pro kWh dürften mit modernen Panels möglich sein.
Wie sich der Energieverbrauch für die Mobilität zu Land, zu Wasser und in der Luft verändert, sehen Sie hier:
Als kurzes Summary:
Unterschiedliche Event-Konzepte
Das SGES setzte wie immer in den letzten Jahren auf sehr kurze Impulsvorträge von weniger als 15 Minuten, die dann in Panels vertieft und diskutiert wurden. Dies gelang mal mehr, mal weniger und war vor allem dann etwas prägnanter, wenn keine Politiker:innen im Panel sassen. Moderator Dominique Reber ist jeweils subtil bemüht, klare Statements zu erhalten. Von Organisationen, Unternehmen und Politiker:innen – mit der bekannten in der Reihenfolge der Genannten abnehmenden Prägnanz. Einen anderen Weg wählte Kyburz: Dort hatten die Redner:innen jeweils fast eine Stunde Zeit, sich tief mit Themen zu befassen. Was natürlich die Themenvielfalt einschränkte, durch die Attraktivität und Expertise der Referenten aber wettgemacht wurde. Der DXP-Challenge, bei der Mitarbeitende von Kyburz und auch Externe auf Basis von ausrangierten Post-Töffli mehr oder weniger sinnvolle Mobile auf die Räder stellen sollten, wurde an diesem Tag sehr viel Platz eingeräumt. Andernorts wäre dies vielleicht als zu viel PR betrachtet worden, bei Kyburz belegte dies aber wohl einfach das Feuer und die Leidenschaft – oder neudeutsch Purpose – der gesamten Firma für ihre Produkte. Als kleiner Exkurs: Wird Purpose sprachlich und speziell in der Unternehmenskommunikation die neue Nachhaltigkeit? Für alles verwendet, alles verhüllend und bis zur inhaltlichen Entkernung weichgewaschen? Was denken Sie?
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