Post-Corona-Marketing: No bullshit?!

Die Welt steht still. Auf den ersten Blick. Bringt Corona eine neue Weltordnung? Dringend nötig. Ein Hinterfragen der wirtschaftlichen und politischen Strukturen und Machtgefüge drängt sich auf. China hat sich einmal mehr als ungleicher oder noch mehr unzuverlässiger Partner erwiesen. Lange Zeit in wirtschaftlicher Hinsicht mit ungleich langen Spiessen, nun in innen- und aussenpolitischer Hinsicht, dass (noch mehr) gelogen wird. Wie und wo wollen wir in Zukunft produzieren? Wie gestalten wir in Zukunft Produktions- und Lieferketten? Hat diese Krise auch Auswirkungen auf das Marketing und die Kommunikation? Schön wär’s.

Der Blick nach innen

Social Distancing, Home Office und ein eingeschränktes Sozialleben lenken den Blick für viele nach innen. Ob sie wollen oder nicht. Das gilt für Länder, Unternehmen, Familien und Individuen. Man mistet aus, Kleider, Möbel, Gewohnheiten, Gedanken. Woher komme ich, wo will ich hin? Als Unternehmen, als Person? Selbst das «Ausgehmagazin» Züritipp, das ja eigentlich dafür gemacht ist, Zeit ausserhalb der eigenen vier Wände zu verbringen, hat den Blick nach innen gerichtet.

… und nach aussen

Unternehmen tun gut daran, den Blick nach aussen zu richten: Wie können wir unseren Kundinnen und Kunden einen wirklichen Mehrwert bieten? Welche Ängste und Unsicherheiten – aktuell wörtlicher zu verstehen als die sonst eher abstrahierten «Pain Points» – können wir unseren Kunden abnehmen? Welchen Nutzen und welches positive Gefühl? Ein Abhol- und Bringservice für Autos, die in Zeiten von Social Distancing trotzdem repariert werden müssen, als einfaches Beispiel. Customer Centricity ist entscheidend, Unselling statt Hardselling angesagt.

Wofür und worüber wird kommuniziert?

Politik, natürlich. Präsident Trump hat mit seinen täglichen Presse-Monologen ein Mittel gefunden, trotz Social Distancing Wahlkampf zu betreiben. Wenn der mexikanische Präsident in seinem Portemonnaie Heiligenbilder zeigt, die angeblich vor Corona schützen sollen, gibt es dafür keine Worte, wenn in Georgien orthodoxe Christen mit Weihrauch Strassenzüge «schützen», ist das zwar vielleicht gut gemeint, aber doch gefährlich. Diese Politiker und Gruppen haben verstanden, dass viele Menschen gerade jetzt empfänglich für positiv emotionale Botschaften sind: «Wir schaffen das, es gibt eine Lösung, eine schnelle und einfache Lösung am Besten.» Doch helfen diese Botschaften nur kurzfristig und haben mit Glaubwürdigkeit und Authentizität wenig zu tun.

Das zukunftsInstitut schreibt dazu: «Die Omnipräsenz vermarkteter Gefühle führt allerdings zu Abstumpfungseffekten – und erzeugt Widerstände gegen eine emotionale Übergriffigkeit. Eine Hauptfrage für Marken (und Politiker) lautet daher: Wie kann es gelingen, Menschen künftig anzusprechen und ihre Aufmerksamkeit zu gewinnen?»

Verschiedene Medienhäuser gehen dabei seit Kurzem noch einen Schritt weiter, indem sie die ausgespielten Ads der erwarteten Stimmung ihrer Nutzerinnen und Nutzer anpassen. Darunter auch die angesehene New York Times. Ist das die nächste Stufe der Manipulation? Bei der NYT hört dieses Projekt auf den vielsagenden Namen «Project Feels». «ESPN (Entertainment and Sports Programming Network) has been pitching a tool to target sports fans on its digital properties based on their changing emotional state during a game. The tool is called LiveConnect and takes the sports preferences that its logged-in users provide and overlays that with data about how people feel based on how their team is doing and line that up with advertisers’ goals.», schreibt Digiday dazu. Künstliche Intelligenz und Big Data helfen dabei, Menschen in emotional empfänglichen Situationen anzusprechen.

In China verkauft die Partei den Sieg gegen Corona, den sie wohl einfach mal so auf ein Datum festgelegt hat, nun als «ihren» Sieg. Der ganzen Welt und natürlich vor allem ihrem eigenen desinformierten Volk. Wenn die Führung mit ihrer Hilfe in Europa nun von einer «Seidenstrasse der Gesundheit» spricht, müssten alle Alarmglocken schrill läuten.

Und Unternehmen, kommunizieren sie noch?

Gerade für Marketing- und Kommunikationsdienstleister ist es wichtig, dass Unternehmen nach wie vor kommunizieren. Auch ihnen brechen aktuell grosse Teile ihres Umsatzes weg. Es war in diesen Wochen gerade für kleinere Unternehmen mit geringeren Kapazitäten schwierig, passend in der Krise zu kommunizieren. Es wurden Verbindungen zu Corona hergestellt, die etwas willkürlich wirkten. Vielen grösseren Firmen gelang es verständlicherweise eher, schnell und auch empathisch in Zeiten von Corona zu kommunizieren. Teilweise als Marke/Unternehmen insgesamt, teilweise begleitend zu Massnahmen, die sie speziell ergriffen hatten. Wie zum Beispiel Textilfirmen, die Schutzbekleidung oder -masken produzierten. Im Sinne von tue Gutes und rede darüber.

Fast Company unterscheidet in ihrem Artikel We’re all in this together: Why brands have so little to say in the pandemic drei Arten von Kommunikation während Corona: Unternehmen handeln, informieren und unterstützen. Fast Company fasst die Auswirkung von Corona auf Kommunikation wie folgt zusammen: «The gap between a brand’s advertising and a company’s actions has been narrowing for years. This crisis will (or should) slam it shut.»


Armani produziert Schutzbekleidung anstatt Mode.


Audi reagiert auf Social Distancing.


Mercedes nimmt in einem Spot #stayhome auf.


Migros sagt ihren Mitarbeitenden danke.


Coca-Cola reagierte so auf Corona.
Diese Aktion könnten wir auch gut beim Adidas-GAU weiter unten aufführen, löste die Ankündigung doch sehr unterschiedliche Reaktionen aus.


Auch ein paar Grosse schafften es, während Corona einen kommunikativen GAU zu produzieren.

Adidas verkündete etwas verkürzt, keine Mieten mehr zu bezahlen.
Um dann später zurückzurudern, dass es „nur“ um Zahlungen an kommerzielle Vermieter gehe. Zu spät, die Reaktionen:

Während Adidas mit Kritik umgehen muss, geht Nike einen ganz anderen Weg. Die Firma, die seit Gründung den Slogan „Just do it“ nutzt, hat ebenfalls angekündigt, Gesichtsmasken für den medizinischen Gebrauch herzustellen. wuv.de vergleicht dazu Adidas und Nike und stellt die Frage nach der DNA der beiden Unternehmen.


Ein paar Kleinere machten ebenfalls das Beste draus.

Der chäslade in Appenzell führte unkompliziert ein Webcam-Shopping ein.


Der Schweizer Edel-Lautsprecher-Produzent Piega, lancierte dieses Angebot.


Sinn und Haltung sind gefragt

Die absatzwirtschaft schreibt zum Verhalten in Krisen: «Marken können in der aktuellen Krisensituation für die Konsumenten und für die gesamte Gesellschaft Hilfestellungen leisten, um dem Gefühl der Destabilisierung entgegenzuwirken und die Erfahrung von Selbstwirksamkeit zu vermitteln.» «Charakter zeigt sich in der Krise», sagte schon Helmut Schmidt. Was für Menschen und Politiker gilt, lässt sich auch auf Unternehmen übertragen.

Marken und die dahinterstehenden Unternehmen haben es nötig, Vertrauen zu schaffen und authentisch und glaubwürdig zu kommunizieren. 77 Prozent der Marken weltweit könnten von heute auf morgen verschwinden, ohne dass es jemanden jucken würde. Das ist das niederschmetternde Ergebnis der globalen Studie «Meaningful Brands 2019» der Agenturgruppe Havas. Es ist das schlechteste Ergebnis seit dem Start der Studie im Jahr 2008. «Welche gesellschaftlichen und ökologischen Benefits sind wirklich integraler Bestandteil des Markenkerns, der nachhaltigen Produktion, der Logistik?» Und: «Welche Marken sind wirklich nachhaltig, differenzierend und nicht leicht zu kopieren?», sagt Havas zu den Gründen für das Misstrauen und den Relevanzverlust.

Vielleicht ist ja eine der grösseren Krisen der Welt der letzten Jahre Grund genug, sich wieder auf wahre Werte, Sinn und Bestimmung zu besinnen.

Wir haben vor Kurzem auch über Purpose geschrieben: Macht das Sinn oder kann das weg?

Der Havas-Studie ist auch zu entnehmen, dass beispielsweise in Deutschland «55% der Konsumenten der Meinung sind, dass Unternehmen heute eine wichtigere Rolle im Aufbau einer besseren Zukunft spielen als die Politik – und glauben daran, dass sie durch ihre Markenwahl und Kaufentscheidungen Einfluss auf diese ausüben können.» 58% von Brand Content ist derweil für Konsumenten weltweit nicht bedeutend, fand Havas weiter heraus.

Um nochmals auf das politische Umfeld Bezug zu nehmen, zeigt sich nicht nur bei Unternehmen ein Mangel an Haltung: US-Präsident Trump polterte in der Corona-Krise, dass er für «Versäumnisse bei Coronavirus-Tests überhaupt keine Verantwortung übernehme». Der Gouverneur des US-Bundesstaates New Yorks Cuomo, überzeugte dagegen mit einer anderen Haltung: «Wenn jemand unzufrieden ist, jemandem die Schuld geben will oder sich über jemanden beschweren will – dann soll er mir die Schuld geben», sagte Andrew Cuomo. «Ich übernehme die volle Verantwortung.»

Kommentare

1 Kommentar

  1. Peter

    Ein super Artikel, der das Thema sehr differenziert betrachtet.

    Vielleicht auch spannend als weiterführende Lektüre: https://bit.ly/PUNCH_NEWOROLDNORMAL
    In dem kostenlosen Whitepaper haben wir uns mit Marketing in einer Post-Corona Welt in einem größeren Kontext auseinander gesetzt.
    Ganz ohne Wishful Thinking oder ideologisch geprägten Prognosen.

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